Was vom Sommer bleibt

Wo bin ich? Es ist so dunkel hier. Was bin ich? Alle meine Blätter sind weg! Ich bin klein und hart. Alles fühlt sich so anders an. Wer bin ich? Lasst mich raus. Ich will zurück an die Sonne, den Wind in meinen Blättern spüren, die leisen Regentropfen. Mir ist so kalt. Lasst mich raus! Hilft mir denn keiner?! Bitte…

Wie schön das war damals. Zuerst war ich ganz klein, grün und zart. Um mich herum surrten die Mücken und die Fliegen. Manchmal kitzelten sie mich, wenn sie sich auf mich gesetzt hatten. Ab und zu ein tieferes Brummen – eine Hummel, wie ich später lernte.

Ich begann zu wachsen. Grösser und grösser wurde ich, bis meine grüne Hülle sich öffnete. Und ich konnte endlich meine Blütenblätter strecken. Bald schon surrten die ersten Bienen und auch Schmetterlinge heran und holten meinen Blütenstaub. Ach, war das eine schöne Zeit.

Doch was war das? Dieses riesige glänzende Ding. Es schnappte zusammen – und meine Schwester war weg. Meine schöne Schwester, direkt neben mir. Schon kam das Ding wieder, ganz nahe zu mir. Nein, nein, nein. Ich will da bleiben! Mit aller Kraft versuchte ich auszuweichen, da begannen die beiden scharfen, silbernen Dinger sich zu schliessen. Ich wand mich und wollte weg – aber was kann ich kleine Rosenblüte schon tun, wenn der Wind mir nicht hilft?

Plötzlich wurde alles um mich herum ganz langsam. So als ob die Zeit fast stillstehen würde. Doch schon berührten die scharfen Kanten meinen Stil. Ich erstarrte vor Angst. «Nein, Du nicht, Dich lasse ich für den Herbst», hörte ich da eine Stimme und die Schere verschwand. Schnipp, schon war mein Bruder zur Linken nicht mehr da.

Immer einmal habe ich die Stimme seither gehört – und immer machte sie mir Angst. Auch wenn sie mich gerettet hat. Wieder summte es um mich herum, die Bienen kamen zurück, der Wind war wieder da und manchmal streichelte mich der Regen.

Ich wurde älter. Blatt um Blatt löste sich von mir – irgendwann schlief ich ein. Und ich träumte. Von Bienen und von Mücken. Von Stimmen und von kalten Nächten. Ich träumte, dass ich mich verwandelte.

Bis ich erwachte. Hier. Und mich ganz anders fühle. Hart und fast ein wenig kalt. Bin ich noch eine Rose? Wo sind all meine Blätter? Weggeweht?

Um mich herum sind noch viele wie ich. Sie schlafen noch. «Wacht auf! Wacht auf!», doch sie schlafen weiter. Da höre ich diese Stimme wieder: «Schau mal die schönen Hagebutten, das gibt eine feine Sauce» Schon werden wir durchgeschüttelt und ausgeleert. Und dann wird es heiss. Heisser als der heisseste Sommertag. So heiss, dass ich zerfliesse. Wieder schreie ich: «Nein, nein, nein». Wieder kann ich mich nicht wehren. Ich schmelze, alle schmelzen wir. Oh, ist das heiss! «Blubb». «Blubbblubb». «Blubbblubbblubb». Harte kleine Kristalle fallen auf mich drauf. Auch sie schmelzen, vermischen sich mit mir. Mit uns.

«Ach hör doch auf, so zu schreien», höre ich da plötzlich eine Stimme. «Wer bist Du?» «Na der Zucker, der eben zu euch gekommen ist.» «Du kannst reden?», frage ich. «Ja, Du doch auch!», antwortet er schnippisch. «Aber das tut weh hier! Es ist so heiss.» «Das gehört dazu», sagt der Zucker, «weisst Du denn nicht, dass wir gemeinsam den Geschmack des Sommers und der Herbstsonne in den Winter bringen? Für die Menschen. Da muss es ein wenig heiss sein zuerst. Wir sollen schliesslich alle zusammenfinden.» Ich bewahre den Geschmack des Sommers? Ich? Wenn ich das gewusst hätte. Glücklich schlafe ich wieder ein und vermische mich. Der Winter kann kommen.

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